„Juchhei! Achtstundentag!“

Lied gesungen zur Melodie von „Crambambuli“, mit einem Text von Andreas Scheu

von Kathrin Raminger

Scheu, Andreas, „Juchhei! Achtstundentag!“, in: Glühlichter, Nr. 12, 1. Mai 1890, S. 2–3 (Quelle: ÖNB / ANNO).

von Kathrin Raminger

Als beim Internationalen Arbeiter-Kongress in Paris 1889 der Beschluss gefasst wurde, den 1. Mai zukünftig alljährlich als weltweiten Aktions- und Feiertag der Arbeiterschaft zu begehen, stand die Forderung nach der Einführung des gesetzlich abgesicherten Achtstundentages im Zentrum der geplanten Maidemonstrationen. Für das Proletariat war mit dieser Forderung nicht nur ein Zugewinn an Lebensqualität verbunden, sondern vor allem ein gesetzlich abgesicherter Schutz gegen seine Ausbeutung durch die Arbeitgeber. So galt etwa in Österreich für Fabrikarbeiter seit 1885 der 11-Stunden-Tag, während gesetzliche Regelungen zur Einschränkung der Höchstarbeitszeit im Kleingewerbe gänzlich fehlten.[i]

Den Beschlüssen des Internationalen Arbeiter-Kongresses folgend, erhob auch die österreichische Arbeiterschaft im Rahmen ihres ersten geeinten Maiaufmarsches 1890 die Höchstarbeitszeit von acht Stunden zu ihrer zentralen Forderung. Dies spiegelt sich auch in der Publikation eines Liedes mit dem Titel „Juchhei! Achtstundentag!“ im humoristisch-satirischen Arbeiterblatt „Glühlichter“ aus ebendiesem Anlass wider. Der von Andreas Scheu[ii] verfasste Text des Liedes, in dem es selbstbewusst heißt „Acht Stunden sind genug am Tag!“, thematisiert das Recht des Proletariats auf körperliche Gesundheit, auf Erholung, Naturgenuss und geistige Muße sowie auf soziale Gerechtigkeit. Scheu war 1874 nach Großbritannien emigriert, wo er sich, wie zuvor auch in Wien, in der Arbeiterbewegung engagierte. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts hatte der walisische Sozialreformer Robert Owen den zum Postulat der Arbeiterbewegung erhobenen Slogan „Eight Hours Labour, Eight Hours Recreation, Eight Hours Rest“ („Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Muße, acht Stunden Schlaf“) geprägt, in dem die von Scheu apostrophierten Gedanken ebenfalls zum Ausdruck kommen. – Oder, wie es der österreichische Sozialdemokrat Otto Bauer formulierte: „Acht Stunden aber wollen wir Mensch sein“.[iii]

Noch 1918, im Zuge des mittlerweile 28. Maiaufmarsches der österreichischen Arbeiterschaft, hatte deren Forderung nach dem gesetzlich verankerten Achtstundentag nichts an Aktualität verloren: „Achtstundentag […] – das ist heute wie immer die erste Forderung des Maitages!“, lautete auch in jenem Jahr wieder die Parole.[iv] Erst das Ende des Ersten Weltkriegs im November 1918 und der darauffolgende Zusammenbruch der K.u.K.-Monarchie sowie die Ausrufung der Ersten Republik Österreich, in deren erster Regierung die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) eine führende Rolle einnahm, ebneten den Weg für weitgehende Sozialreformen zugunsten der Arbeiterschaft, darunter die Einführung des achtstündigen Arbeitstages. Während die gesetzliche Arbeitszeitbegrenzung noch 1918 zunächst nur für „fabriksmäßig betriebene Gewerbeunternehmungen“ (Betriebe mit mindestens 20 Arbeitern, Anm.) erlassen wurde, konnte im Dezember 1919 auf Initiative des sozialdemokratischen Staatssekretärs für Soziale Verwaltung Ferdinand Hanusch schließlich das generelle Achtstundentaggesetz für alle Betriebe durchgesetzt werden, „die den Vorschriften der Gewerbeordnung unterliegen“.[v] Hanusch selbst wollte die Einführung des Grundgesetzes gegenüber seinen Kritikern aus deutschnationalen und christlich-sozialen Kreisen als deutliches Signal verstanden wissen, „daß die Zeit, in der man die Arbeiter als Objekt behandeln konnte, gründlich vorüber ist.“[vi]

Die Sozialdemokratie feierte die Durchsetzung einer der ältesten Forderungen der Arbeiterklasse am darauffolgenden 1. Mai 1920 als wichtigen Sieg: „Dreißig Jahre sind vergangen seit der ersten Feier des ersten Mai. Dreißig Jahre – ein langer, langer Zeitraum im Leben des einzelnen, aber eine kurze Zeitspanne nur in der Geschichte der Völker! Und doch, wie anders sieht die Welt heute aus als an jenem ersten Maitag! […] Damals noch fast überall die elfstündige Arbeitszeit, der Achtstundentag noch ein aus der Ferne strahlendes Ziel; heute ist der Achtstundentag, die erste, ursprüngliche Forderung der Maidemonstration, den Gesetzbüchern beinahe aller Länder als eines der Grundrechte der Arbeiterklasse einverleibt.“[vii]

Zu ungetrübtem Jubel ließ sich die Arbeiter-Zeitung, das wichtigste Organ der österreichischen Sozialdemokratie, aber auch angesichts dieser für die Arbeiterschaft so großen Errungenschaft nicht hinreißen, sondern fasste – gleichsam als mahnende Prophezeiung für die Zukunft – diese fortschrittliche Entwicklung relativierend als Teil des Prozesses einer Weltentwicklung, „der durch Siegesjubel zu Enttäuschungen, und durch Enttäuschungen zu Siegesjubel führt, der die Proletarier aller Länder bald vereint, bald wieder spaltet, sie bald mit allzu überschwenglichen Hoffnungen, bald wieder mit allzu kleinmütigem Verzagen erfüllt, der sie bald in Not und Elend herabdrückt, bald wieder emporhebt.“[viii]

Angesichts der jüngsten Vorstöße der österreichischen Regierung zur (Wieder-)Einführung des 12-Stunden-Tages ab 1. September 2018 scheint das Lied zum Achtstundentag 128 Jahre nach dessen Entstehen aktueller denn je.

 

Juchhei! Achtstundentag!

Herbei ihr lieben Werksgenossen,
Gesinnungsschwestern all‘ herbei! tralera!
Die Werkstatt bleibe heut‘ geschlossen:
Wir feiern unsern ersten Mai, tralera!
Kommt schließt euch uns’ren Reihen an,
Denn heut‘ wird einmal nichts gethan,
Denn heut‘ wird nichts gethan,
Wird nichts gethan!

Die Erd‘ braucht vierundzwanzig Stunden,
Sich einmal um sich selbst zu dreh‘n:
D‘rum hat sie noch nicht Zeit gefunden
Auch nur ein Weilchen still zu steh‘n.
Wir aber sind von Fleisch und Blut,
Dem‘s manchmal Noth zu rasten thut,
Dem‘s Noth zu rasten thut,
Zu rasten thut.

Nicht Rast allein ist uns von nöthen,
Der Freude Becher sei geschlürft:
Es ginge ja die Menschheit flöten,
Wenn sie sich nicht verjüngen dürft‘!
D‘rum Brüder nehmt es uns nicht krumm,
Das viele Schanzen bringt Euch um,
Das Schanzen bringt Euch um,
Es bringt Euch um!

Und wär‘ es noch für Uns‘resgleicben,
Daß wir im Schweiß uns endlos müh‘n;
Doch sind es immer nur die Reichen,
Die einzig daraus Nutzen zieh‘n.
D‘rum wie man‘s auch betrachten mag,
Acht Stunden sind genug im Tag,
Sind wohl genug im Tag,
Genug im Tag!

Wir wollen die Natur genießen,
In Sonnenlicht und Bergesluft
Uns tummeln, wo die Gräser sprießen,
Und athmen süßer Blumen Duft!
D‘rum was man uns auch sagen mag,
Wir fordern den Achtstundentag,
Juchhei, Achtstundentag,
Achtstundentag!

So lasset uns beharrlich streiten
Für eine rechte Mußestund,
Die Arbeit hat zwar schöne Seiten,
Doch allzuviel ist ungesund!
Nein, es ist länger keine Frag‘:
Wir wollen den Achtstundentag,
Juchhei, Achtstundentag,
Achtstundentag!

Bald muß uns ja der Tag erscheinen.
Der nahen Zukunft Angebind‘ –
Wo Spiel und Arbeit sich vereinen
Und alle Stunden unser sind! –
Wer bis dahin nicht warten mag,
Der stimm‘ für den Achtstundentag,
Juchhei, Achtstundentag,
Achtstundentag![ix]

 

[i] Vgl. „Achtstundentag“, in: http://www.dasrotewien.at/seite/achtstundentag (30.07.2018).

[ii] Andreas Scheu (1844–1927) engagierte sich ab 1867 zunächst in der österreichischen und nach seiner Emigration nach Großbritannien 1874 auch in der englischen Arbeiterbewegung, unter anderem als Herausgeber, Redakteur und Korrespondent für mehrere sozialdemokratische Arbeiterzeitungen. Zudem verfasste Scheu zahlreiche Gedichte sowie Texte für Arbeiterlieder und politische Schriften. Vgl. „Andreas Scheu“, in: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Andreas_Scheu (30.07.2018).

[iii] Vgl. „Achtstundentag“, in: https://rotbewegt.at/epoche/1889-1918/artikel/achtstundentag (30.07.2018).

[iv] o.V., „Vorwärts trotz alledem!“, in: Arbeiter-Zeitung, Nr. 116, 1. Mai 1918, S. 1.

[v] Vgl. Arbeiter-Zeitung, Nr. 344, 18. Dezember 1919, S. 1 bzw. „Gesetz vom 17. Dezember 1919 über den achtstündigen Arbeitstag“ (St-G.-Bl. Nr. 581), in: ALEX. Historische Rechts- und Gesetzestexte online. URL: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=sgb&datum=19190004&seite=00001327 (30.07.2018).

[vi] o.V., „Das Achtstundentaggesetz“, in: Arbeiter-Zeitung, Nr. 344, 18. Dezember 1919, S. 2.

[vii] o.V., „Weltrevolution“, in: Arbeiter-Zeitung, Nr. 120, 1. Mai 1920, S. 1.

[viii] Ebd., S. 2.

[ix] Scheu, Andreas, „Juchhei! Achtstundentag!“, in: Glühlichter. Humoristisch-Satirisches Arbeiterblatt, Wien, 1. Mai 1890, S. 2-3.